Nicht nur der Tod von Kevin im Jahr 2006 wirft ein Negativbild auf die Hansestadt, sondern ebenso aktuelle Kindesentzugsfälle, die namentlich und inhaltlich bekannt sind. In der Hansestadt Bremen reiht sich ein Skandal an den nächsten; nun kommt die Frage auf, ob in Bremer Einrichtungen ehemalige Heimkinder Versuchskaninchen waren.
Ehemalige Bremer Heimkinder Versuchskaninchen für Medikamente
Laut dem Pressebericht im Hamburger Abendblatt vom 24. September 2015 sollen in „westlichen Erziehungsanstalten“ flächendeckend Kinder für Medikamentenexperimente missbraucht worden sein. Bevor recht-obsolet.de sich eingehender mit diesem Pressebericht auseinandersetzen, darf soviel verraten werden: Der Inhalt legt noch längst nicht das ganze Ausmaß an den Tag. Das Hamburger Abendblatt fasst nur grob die Geschehnisse eines weitaus detaillierteren Artikels zusammen, auf den im weiteren Verlauf noch einzugehen ist.
Indizien für Medikamentenversuche an Kindern
Die 51-jährige Düsseldorfer Doktorandin Sylvia Wagner habe Indizien in den früheren Rotenburger Anstalten Bremen gefunden, die den schweren Vorwurf erhärten. Demnach sollen ehemalige Heimkinder Bremen missbräuchlich mit Psychopharmaka „behandelt“ worden sein. Wagner stünde mit ihrer Forschung noch ganz am Anfang. Es sei ein schwieriges und brisantes Thema. Derzeit stecke sie noch inmitten der Recherchen für ihre Dissertation unter dem Titel
Medikamenteneinsatz in Erziehungsheimen der BRD in den 1950er bis 1970er Jahren.
Die abgeschlossene Dissertation wollte Wagner bis Anfang 2017 fertig haben.
Der aktuelle Bericht des Hamburger Abendblattes bezieht sich auf Erkenntnisse, die nicht ganz so neu sind, wie man es beim Lesen des Artikels glauben mag.
Anmerkung: Darin zur Last gelegte Anschuldigungen sind keinesfalls erst im Jahr 2015 bekannt geworden und es ist nicht das erste Mal, dass diese „Anstalten“ in der Form auffällig wurden; wir kommen noch auf die Euthanasie zu sprechen, die dort systematisch ausgeführt wurde.
Viel zu hohe Dosierung für ehemalige Heimkinder Bremen
Wagners Anschuldigungen sind schwerwiegend. Man habe den Ex-Heimkindern in Bremen häufig verschiedene Pharmazeutika gleichzeitig verabreicht. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, sollen dazu gleichsam die Dosierungen viel zu hoch gewesen sein. Obwohl die Rotenburger Anstalten bei Bremen im Fokus der Recherchen stehen, erhebt die Doktorandin den erweiterten Vorwurf:
Das hat größere Dimensionen.
Aufmerksam geworden sei die Wissenschaftlerin auf die Medikamentenexperimente an ehemaligen Heimkindern durch einen ehemaligen Bewohner einer diakonischen Einrichtung, die heute rund 1600 Beschäftigte habe und circa 1130 Heimbewohner betreue.
Kinder zum „Schwachsinn“ erklärt: Experimentelle Zwangsmedikation
Der Zeitzeuge sei heute 56 Jahre alt und war elf Jahre alt, als er in den Rotenburger Anstalten untergebracht war. Die Bremer Anstalten seien seinerzeit für geistig behinderte Menschen vorgesehen gewesen. Der Zeitzeuge sei jedoch nicht geistig behindert gewesen. Nach Wagner´s Schilderung sei er dort untergebracht worden, weil er ein uneheliches Kind war. Des Weiteren berichtete das Ex-Heimkind nicht nur über die experimentelle Zwangsmedikation, sondern auch über sexuelle Gewalt, unter der er bis heute noch leide.
Der Betroffene führte an, dass ihm diese Missbräuche in den Knochen stecken bliebe und er teilte weiter mit:
…das werde ich auch mit in mein Grab nehmen.
Zwangsjacken für ehemalige Heimkinder Bremen
Ergänzend hierzu ein Zitat vom Deutschlandfunk – online publiziert am 27.05.2015:
Heimkinder im Nachkriegsdeutschland – Die Psychiatrie-Opfer warten noch immer
Zunächst wurden sie für „schwachsinnig“ erklärt und dann von ihren Eltern getrennt: Nach dem Zweiten Weltkrieg landeten Tausende Kinder in speziellen Einrichtungen für psychisch Kranke. Aber anders als viele andere Opfer von Heimerziehung, die inzwischen Gelder aus Fonds erhalten, wurden sie bis heute nicht für ihr Leid entschädigt.
Dort werden die Anschuldigungen konkretisiert:
Anstatt Förderung und Erziehung bekam ich schwerste körperliche Misshandlungen, blutig geschlagen, mit Knüppeln geschlagen, Zähne wurden mir rausgeschlagen. Man hatte mich auch mehrfach in eine Zwangsjacke gesteckt oder die Hände und Füße am Bett gefesselt über Tage.
Diese Kinder wurden – und werden auch heute noch – durch die deutsche Jugendhilfe / Jugendämter eingewiesen in solche Heime.
Schwachsinn – aus wirtschaftlichen Erwägungen der Heimbetreiber
Deutschlandfunk berichtet weiter:
Viele Kinder wurden allein deshalb als „schwachsinnig“ eingestuft, weil wirtschaftliche Erwägungen der Heimbetreiber im Hintergrund standen. Die meisten Einrichtungen für körperlich und geistig behinderte Menschen waren infolge des Euthanasie-Mordprogramms der Nazis nach dem Krieg unterbelegt. Die Träger waren daher daran interessiert, die Häuser wieder zu füllen.
Und so:
Deswegen wurden reihenweise, zu Tausenden, gefälschte Intelligenzquotienten produziert. Diese Menschen, die hatten einen IQ des Schwachsinns damals, zum Teil hochintelligente Menschen. Man hat also diesen Schwachsinns-IQ vergeben,“
Diese Fakten waren wohlgemerkt schon Thema am Runden Tisch für ehemalige Heimkinder – Anfang 2011. Unter Vorsitz der ehemaligen Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer, die zu diesem Zeitpunkt einen Abschlussbericht vorlag.
Forschungsteam geht Anschuldigungen nach
Derartige Vorwürfe gegen Verantwortliche sind beileibe keine Seltenheit und es dauert – wie beim Runden Tisch für Ex-Heimkinder – gewöhnlich mehrere Jahrzehnte, bis in Salamitaktik zugegeben wird, was die Spatzen längst von den Dächern pfeifen. So auch im Gelsenkirchener Jugendamtsskandal, der seit der Monitor Sendung „Mit Kindern Kasse machen“ aus April 2015 weite Kreise nach sich zieht. Eine Unschuldsvermutung ist auch im Bezug auf den nächsten Skandal „Bremer Heimkinder Versuchskaninchen“ nicht angebracht. Es muss abermals Salamitaktik angenommen werden.
Forschungsteam recherchiert ab November 2015
Ab November 2015 sollte ein dreiköpfiges Forschungsteam gebildet werden, das sich den Vorwürfen ehemaliger Rotenburger Heimkinder annehmen und den Schilderungen bezüglich der Gewalterfahrungen in Bremer Erziehungseinrichtungen nachgehen würde. Durch wen allerdings das Forschungsteam beauftragt wurde, ist interessant. Doch dazu später mehr.
Akten von Heim und Jugendamt sollen herangezogen werden
Im Rahmen der Forschungen sollten Akten beigezogen werden, außerdem waren Interviews geplant, so berichtet der Historiker Karsten Wilke aus Bielefeld. Im Sommer 2017 sollte die fertige Studie vorliegen.
Der Einrichtung Rotenburger Anstalten Bremen sei an einer „historischen Aufarbeitung“ sehr am Herzen gelegen, hieß es weiter im Hamburger Abendblatt, das sich auf Vorstandsvorsitzende der Rotenburger Werke, Jutta Wendland-Park, berief.
Im Bericht des Hamburger Abendblattes dazu:
Nur so könnten Gegenwart und Zukunft gut gestaltet werden. „Wir bitten alle um Entschuldigung, die Leid und Unrecht erfahren haben“, fügte die leitende Theologin hinzu. „Wir sind beschämt und werden alles tun, um das aufzuarbeiten.“ Das müsse jetzt geschehen, um die Zeitzeugen zu hören. Es gebe jetzt Fragen, „die wir vor ein paar Jahren noch nicht hatten“.
Angesichts der gewählten Formulierungen war zwingend davon auszugehen, dass der Vorwurf, es seien ehemalige Heimkinder Versuchskaninchen für Psychopharmaka gewesen, längst bewiesen wurde und es letztlich nur noch im die Art und Weise ging, wie man die Aufarbeitung so wenig skandalös wie möglich abwickeln könne. Mit voranschreitenden Recherchen sollte sich dies bestätigen.
Werden ehemalige Heimkinder Bremen entschädigt?
Inwieweit hier eine „historische Aufarbeitung“ und Entschädigung der Opfer angemessen erfolgen wird, bleibt fraglich. Ähnliche Fälle haben in der Vergangenheit gezeigt, dass die Verantwortlichen und Behörden bei der Aufklärung nur bedingt mitarbeiten, wenn es darum geht, ihre Gräueltaten transparent zu machen. Keine Akten, keine Heimkinder Entschädigung.
Aktenstudium: Doppelte Aktenführung & Aktenvernichtung
In fast allen ähnlich gelagerten Skandalen wurden Akten in den zurückliegenden Jahrzehnte zum großen Teil vernichtet, so sie denn überhaupt angelegt wurden. Es wird sich zeigen, ob in dem nun bekannt gewordenen Skandal tatsächlich eine Transparenz durch Mitwirkung und Aktenherausgabe stattfinden wird. Die Aussagen des 56-jährigen sprechen diesbezüglich eine klare Sprache.
Erfahrungsgemäß gibt es doppelte Aktenführung, Vernichtung der Akten, Nicht-Eintragung in die Akten. Damals wie heute. Die Wissenschaftlerin Sylvia Wagner lobte, es sei gut, dass es überhaupt Akten gäbe; dies sei oft nicht der Fall. Mit dieser Feststellung steht die Doktorandin nicht alleine da. recht-obsolet.de sind weitere Fälle bekannt, in denen Aktenschwund und Nicht-Herausgabe von Akten zu beklagen sind. Selbst Untersuchungsausschüssen wird werden regelmäßig Akten verwehrt. Insbesondere auch seitens des Jugendamts Bremen, das nicht zuletzt aus dem grausamen Skandal um den kleinen Kevin unrühmliche Bekanntschaft erlangte. Kevin, der 2-jährige Junge, dessen Leben ein grausames Ende im Tiefkühlfach gesetzt wurde.
Werden für das Aktenstudium des Forschungsteams auch die Jugendamtsakten beigezogen?
Finanzielle Unterstützung für ehemalige Heimkinder Versuchskaninchen aus Bremen -Lippenbekenntnisse von Sozialsenatorin Anja Stahmann?
Die Freie Hansestadt Bremen ist in Sachen Heimkinderentschädigung bereits erfahren. Dazu die Pressestelle des Senats:
„Wichtigste Aufgabe der Anlauf- und Beratungsstellen ist es, den ehemaligen Heimkindern Zeit für die Schilderung des erlittenen Leides und Unrechts zu widmen“, sagte Sozialsenatorin Anja Stahmann. „Nach Gesprächen mit Betroffenen ist heute klar, dass es auch in Bremer Einrichtungen zu verachtender Behandlung, Missbrauch und Ausbeutung gekommen ist. Ich möchte, dass die Betroffenen jetzt Hilfe und ein offenes Ohr finden.“ Die Anlauf- und Beratungsstellen sollen so jeden Einzelnen bei der Aufarbeitung seiner eigenen Lebensgeschichte Unterstützung anbieten.
Diese Lippenbekenntnisse der Sozialsenatorin Anja Stahmann muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.
„Nach Gesprächen mit Betroffenen ist heute klar, dass es auch in Bremer Einrichtungen zu verachtender Behandlung, Missbrauch und Ausbeutung gekommen ist. Ich möchte, dass die Betroffenen jetzt Hilfe und ein offenes Ohr finden.“
Frage an Anja Stahmann: Wann werden aktuell Betroffene „ein offenes Ohr finden“? Ferner sieht sich die Bremer Sozialsenatorin seit 2015 der Frage ausgesetzt, warum die Freie Hansestadt Bremen einem Vater per Maulkorberlass die Fallschilderung im Internet verbietet und dem das „offene Ohr“ verweigert wird. Werden heute Betroffene ebenfalls erst nach 50, 60 oder noch mehr Jahren auf „offene Ohren“ stoßen, wenn es abermals heißt: Aufarbeitung?
Freie Hansestadt Bremen: Heimerziehung verursacht Folgeschäden
Weiter räumt die Pressestelle der Freien Hansestadt Bremen folgendes ein:
„Der Fond soll dazu beitragen, Folgeschäden der Heimerziehung finanziell abzumildern. Dazu gehören etwa geminderte Rentenansprüche wegen damals nicht gezahlter Sozialversicherungsbeiträge. Leistungen sollen aber auch gewährt werden, wenn wegen schwerwiegender Folgen ein besonderer Hilfebedarf besteht.“
Hervorragend. Die Freie Hansestadt Bremen selbst räumt ein, dass Heimerziehung Folgeschäden bei internierten Kindern nach sich zieht. Trotzdem werden in der Gegenwart immer mehr Kinder aus ihren Familien herausgerissen und der Heim- und Pflegeelternindustrie zugeführt – auch dann, wenn Eltern sich nichts haben zu Schulden kommen lassen.
Täter werden zu Richtern und sprechen sich selbst frei
Den Tätern ist vollends bewusst, dass die Traumatisierungen immer schwersten Hospitalismus nach sich ziehen. Bei Eltern und Kindern. Studien, wie lukrativ „Investitionen in Humankapital“ durch Heimunterbringungen seien – selbst erhoben durch Nutznießer des Systems – sind einzig Blendwerk, um derartiges Handeln wie in der Freien Hansestadt zu rechtfertigen.
Werden – und falls ja wann – auch heute betroffene Familien irgendwann entschädigt?
Offiziell seien 800.000 Kinder von 1949 bis 1975 betroffen.
Dazu passend ein Auszug von fonds-heimerziehung.de:
„Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1949 bis 1975
In der Zeit von 1949 bis 1975 lebten etwa 700.000 bis 800.000 Kinder und Jugendliche in Säuglings-, Kinder- und Jugendheimen in der Bundesrepublik Deutschland. Der Heimaufenthalt vieler ehemaliger Heimkinder war vielfach von traumatisierenden Lebens- und Erziehungsverhältnissen geprägt. Wem während der Heimunterbringung im vorgenannten Zeitraum in der Bundesrepublik Deutschland Unrecht und Leid zugefügt wurde, das heute noch zu Beeinträchtigungen führt, dem kann nun Unterstützung gewährt werden.“
Da freut sich doch der Steuerzahler, der nicht nur die Misshandlungen, Missbräuche und Medikamentenexperimente an Heim- und Pflegekindern zu bezahlen hat, sondern auch für die Folgeschäden bezahlen muss. Aber vielleicht hält man es in der Freien Hansestadt mit Francois Hollande:
„Nein, das kostet nichts, das bezahlt der Staat!“
Ex-Heimkinder: Viele bereits verstorben
Es sei erwähnt: Viele der ehemaligen Heimkinder hatten keine Gelegenheit, diese Entschädigung für sich zu beanspruchen, weil sie diesen Tag gar nicht mehr erleben durften. Entweder durch Krankheit, Folgen der schweren Misshandlungen und Missbräuche oder durch Suizid sind längst unzählige Opfer verstorben. Wartet man deshalb mit der Aufarbeitung?
Vorfälle in Rotenburger Anstalten waren längst bekannt
Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass der Runde Tisch Heimerziehung sich nicht für Anerkennung und Entschädigung der Euthanasie während der Nazi-Zeit eingesetzt hat, sondern für die Opfer eintrat, die zwischen 1949 und 1975 ihr Martyrium Heimzeit erlebten mussten.
Wieso erst durch die 51-jährige Düsseldorfer Doktorandin Sylvia Wagner im Jahr 2015 die Medikamentenversuche an ehemalige Heimkinder Bremen aufgedeckt worden sein sollen und nicht zuvor schon von den Rotenburger Anstalten zur Aufarbeitung bekannt gegeben wurden, entzieht sich jedem Verständnis. Die Erkenntnisse sind längst schon vor der wissenschaftlichen Arbeit der Doktorandin bekannt gewesen.
Euthanasie in Bremen?
Die heutigen Rotenburger Werke als „Nachfolgeorganisation“ der Rotenburger Anstalten haben Dr. Harald Jenner, seines Zeichens Historiker, Aktenbestände überlassen, welche von diesem wissenschaftlich aufgearbeitet wurden.
Schülerarbeit beweist: Euthanasie in Rotenburg
Im Rahmen eines Zusammenwirkens zwecks Erstellung einer Abhandlung, die mit dem Schülerpreis 2012 dotiert wurde, ist in diesem Dokument nachzulesen:
„Des Weiteren ergaben meine Recherchen, dass Dr. Harald Jenner mir bestätigte, dass auch Patienten, die in den Rotenburger Anstalten untergebracht waren, nach Lüneburg abtransportiert wurden, um letztlich in der „Kinderabteilung Lüneburg“ ermordet zu werden.“
Interessantes ist auch der Literaturangabe zu entnehmen:
„Grundlegende Literatur über den Krankenmord in Rothenburg finden Sie unter: – Thorsten Sueße/Heinrich Meyer: Abtransport der „Lebensunwerten“, Hannover 1988
– Michael Quelle: Die Rotenburger Anstalten in den Jahren 1933-45, Universität Bremen 1986″
Auffällig sind die Jahrgänge der Veröffentlichungen dieser angeführten Publikationen; 1986 und 1988. Es ist also spätestens seit dieser Jahre bekannt, dass in den Rotenburger Anstalten während der NS-Zeit Kinder und „Schwachsinnige“ misshandelt, missbraucht und ermordet wurden; Heimkinder Versuchskaninchen waren.
Wie ist es zu erklären, dass sich dergleichen Ereignisse für ehemalige Heimkinder Bremen in den 1960er und 1970er Jahren abermals wiederholen konnte?
Behördenkollektive beschlossen Heimunterbringungen
Weiter in der Schülerarbeit heißt es:
„Hilfsangebote für Betreuung in Familien waren minimal. In den damaligen Rotenburger Anstalten waren beispielsweise überwiegend Menschen, die heute nicht heimbedürftig wären. Hinzu kamen die zunehmenden Schwierigkeiten in der Kriegszeit, beispielsweise dadurch das die Männer eingezogen waren. Waren dann noch mehrere Kinder da, wurde schnell ein Heimplatz gesucht. Ärzte und die Gesundheitsämter schlugen Heime vor und drängten. Über die Gesundheitsämter und Amtsärzte waren die Behörden insgesamt über die meisten behinderten Kinder in den Familien informiert. In Einzelfällen wurde auf Familien, d.h. dann meistens die Frauen, die zu Hause waren auch Druck ausgeübt in dem mit Arbeitsverpflichtung in der Rüstungs-Industrie gedroht wurde.“
Druck auf Eltern: Damals wie heute
Zwischen Nazi-Euthanasie und dem Jahre 2015 hat sich nicht viel geändert. Auch heute üben Behördenkollektive Druck auf Eltern aus und versucht sie, mit Repressalien wie
- diverse Abmahnversuche wegen Betreiben einer Internetseite
- Sanktionen gegen Demonstrationen, in denen auf das begangene Unrecht einer unnötigen und ungerechtfertigten Inobhutnahme hingewiesen wird
- Kriminalisierung
- Psychiatriesierung
- sowie finanzieller Ausblutung
gefügig zu machen. Wer sich dem System ob des begangenen Unrechts entgegenstellt, wird systematisch fertig gemacht.
Bundesarchiv: Zahlen zur Euthanasie
Der Schüler inkludiert in seine Arbeit ein Antwortschreiben vom Bundesarchiv Berlin. Darin heißt es:
„Das Bundesarchiv verwahrt 30.000 von ursprünglich gut 70.000 Patientenakten der ersten Phase der „Euthanasie“-Aktion im Dritten Reich.“
Weiter heißt es ebendort:
„Unterlagen über die Kinderfachabteilungen an Heil- und Pflegeanstalten des Dritten Reiches, in denen bis 1945 Kinder und Jugendliche ermordet wurden, sind nur in geringem Umfang unter den allgemeinen Krankenakten der betreffenden Einrichtungen zu finden.“
Derzeit werden jährlich aus knapp 85.000 Familien noch mehr Kinder durch deutsche Behörden in Obhut genommen und deren Familie durch den Staat als Obervormund ersetzt.
Deportation Rotenburger Werke der Inneren Mission
- 30.07.1941: 70 Personen
- 05.08.1941: 70 Personen
- 09.10.1941: n. a.
- 12.10.2041: 35 Personen
Quelle: tenhumbergreinhard.de
Rotenburger Anstalten werden Rotenburger Werke
Rotenburger Werke berufen sich auf „eine lange Tradition“.
Auf der Internetseite ist zu lesen:
„Das diakonische Profil der Rotenburger Werke hat eine lange Tradition seit der Gründung des Vereins im Jahr 1880.“
Obwohl es in der Nazizeit Euthanasie gab und in den 1960er und 1970er grausame Menschenexperimente, körperliche und sexuelle Gewalt gab, berufen sich die die Rotenburger Werke im Jahr 2015 auf „eine lange Tradition„.
Schuld war die Nazi-Herrschaft – und wer danach?
In der Rubrik „Über uns“ ist auf der Seite „Geschichte“ nachzulesen:
Dann folgt der Schock der Nazi-Herrschaft, deren Bestrebungen zur „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ zum Mord an 200.000 Menschen mit Behinderung führen.
Allein 547 Frauen und Männer aus den Rotenburger Werken, die damals Rotenburger Anstalten hießen, werden Opfer dieser systematischen Tötungen.
Weiter geht es so:
In der Nachkriegszeit dauert es Jahrzehnte, bis die Rückschläge der NS-Diktatur auch im Denken über Menschen mit Behinderung überwunden sind. Seit den 60er und 70er Jahren entsteht eine Auffassung, die den Menschen über seine Persönlichkeit und seine Fähigkeiten definiert, nicht über seine Defizite. Ein Prozess, der in unserer Gesellschaft noch nicht in allen Bereichen zu einem gleichberechtigten und partnerschaftlichen Umgang mit Menschen mit Behinderung geführt hat. Wir versuchen, den Weg zu diesen Zielen weiter zu ebnen.
Es mutet beinahe so an, als sehe man die alleinige Verantwortung in der „Nazi-Herrschaft“. So einfach ist das jedoch nicht.
Jede „Herrschaft“ wird nur durch Zutun ermöglicht. Wem wird man die Schuld für die Menschenexperimente nach der Nazi-Herrschaft zuweisen?
Von den Geschehnissen „Ehemalige Heimkinder als Versuchskaninchen missbraucht“ ist kein Wort auf der Internetseite http://www.rotenburger-werke.de/ueber-uns/geschichte.html nachzulesen.
Genauso wenig, wie das Eingestehen der Rotenburger Werke, was in jenen Jahren hinter verschlossenen Türen passierte. Ebenso wenig wird heute ein deutsches Jugendamt zugeben, warum jährlich fast über 100.000 Kinder – Tendenz weiter steigend – in Obhut genommen werden und was mit diesen Kindern und deren Familien passiert.
Weitere Kinderheime in Rotenburg
Anstatt diesen unsäglichen Ort, der von einer „langen Tradition“ schwerster Verbrechen an Menschen geprägt ist, zu schließen, eröffnete man dort in den 1970er Jahren weitere Kinderheime.
Der Name Rotenburger Anstalten wurde per Mitgliederversammlung durch eine neue Satzung am 17.04.1996 beschlossen und lautet seitdem ROTENBURGER WERKE DER INNEREN MISSION e.V.. Weitere Kinderheime und Jugendhäuser wurden ab November 2011 eröffnet.
Verbrechen noch schlimmer als im Artikel Hamburger Abendblatt
Seit 2011 suchen Rotenburger Werke Zeitzeugen. Der Transparenz geschuldet hat recht-obsolet.de die Recherche intensiviert und ist auf Umwegen auf einen Pressebericht gestoßen, in dem man zu den Ereignissen aus den 1960er- und 1970er Jahren mitteilt:
Wir sind beschämt.
Dort zu entnehmen: Laut einem kleinen Kasten unten rechts sucht man bereits seit 2011 nach Zeitzeugen.
Der Pressebericht offenbart auch:
In ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit dem Medikamenteneinsatz in Erziehungseinrichtungen der BRD in den 1950er bis 70er Jahren.
Etwas später im Pressebericht:
„Doch auch die Rotenburger Werke haben ein dreiköpfiges Forschungsteam beauftragt, die Zeit zwischen 1945 und 1975 aufzuarbeiten.“
Forschungsteam von Rotenburger Werke beauftragt
Letzte zwei Zitate lassen erahnen, wie die „historische Aufbereitung“ ausfallen wird. In Erinnerung gebracht wird hier noch einmal der aktuelle Artikel aus dem Hamburger Abendblatt vom 24. September 2015.
Dort wird mit keinem Wort erwähnt, wer das 3-köpfige Forschungsteam beauftragte und es wird auch nicht daraus ersichtlich, dass bereits in den 1950er Jahren Heimkinder Versuchskaninchen für Menschenexperimente waren.
Forschungsteam: Rotenburger Werke selbst
Nur wer gründlich recherchiert, wird fündig und bringt in Erfahrung, welche Experten das Forschungsteam „Ehemalige Heimkinder Versuchskaninchen Bremen“ bildeten:
- Thorsten Tillner (Finanzvorstand der Rotenburger Werke)
- Jutta Wendland-Park (Vorstandsvorsitzende Rotenburger Werke)
- Karsten Wilke (Historiker, von Rotenburger Werken beauftragt)
Um die gesamte Tragweite der Grausamkeiten zu ermessen, muss zwingend dieser Artikel gelesen werden, denn hier werden weitere grausame Details genannt, die im Hamburger Abendblatt nur angedeutet werden.
Beispiele:
„Ihre ersten Recherchen hätten schon Hinweise ergeben, dass den Opfern mehrfach verschiedene Pharmazeutika gleichzeitig in häufig viel zu hohen Dosierungen verabreicht wurden, so die Doktorandin.“
„Es gibt aber noch die Vermutung, dass auch in dieser Einrichtung damals Dinge unter den Tisch gekehrt wurden: „Es könnte doppelte Buchführung gegeben haben.“
„Der ehemalige Bewohner habe berichtet, dass er von seinem Betreuer Dokumente bekommen hat, die in seiner Akte später nicht auftauchten.“
Jutta Wendland Park: „Zu mir sind ehemalige Bewohner gekommen und haben ihre Geschichte erzählt.“ Das waren bewegende Berichte über Gewalt, Demütigung und sexuellen Missbrauch…“
„Ab diesem Zeitpunkt (Anm. d. Redaktion: 1970er Jahre) sei die Einrichtung deutlich pädagogischer geworden, vieles hätte sich zum Positiven geändert. „Das schließt nicht aus, dass (Ergänzung: es) nicht auch später Dinge gibt, die aufgearbeitet werden müssen“, erklärt die leitende Theologin der Werke.“
Von welchen Dingen, die später aufgearbeitet werden müssen, auszugehen sein wird, lässt sich erahnen.
Die Tablettenkinder: Auch in Bayern Heimkinder Versuchskaninchen
Vorkommnisse wie in Bremen werden als Einzelfälle herausgespielt, doch sie sind es nicht. Während der Überarbeitung dieses Artikels erhielt die recht-obsolet.de Redaktion Kenntnis über die Aufbereitung in Bayern. Auch dort wurden bis in die 1970er Jahre Heimkinder von Pharmafirmen als Versuchskaninchen missbraucht. BR berichtet von schleppender Aufarbeitung. Es wird berichtet von Nebenwirkungen und Todesfällen. Die Heimleitung der Rummelsberger Diakonie hat sich für das Experiment entschuldigt und einen Wissenschaftler damit beauftragt, die Vorkommnisse zu prüfen. Andere Nachforschungen haben bereits herausgefunden: Es soll bundesweit 50 Testreihen mit Menschenexperimenten an Heimkindern gegeben haben.