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Krätze in Demminer Schulen

Krätze in Demminer Schulen
Dass an einer Schule, in einer Kita oder einer anderen Gemeinschaftseinrichtung ansteckende Krankheiten und Parasiten übertragen werden, lässt sich nicht vermeiden. Allerdings wirken sich Informationspolitik und Vorgehen seitens Schule, Schulamt, Trägers der Einrichtung und Gesundheitsamt maßgeblich darauf aus, wie viele Fälle der Ansteckung oder Übertragung von Parasiten wie Läusen und Krätzmilben zu verbuchen sind. Statt Transparenz und schnellem Handeln sind jedoch oft Untätigkeit, gezielte Desinformation und Vertuschung zu beobachten. In den letzten Wochen und Monaten kam es mehrfach zu Krätze in Demminer Schulen. Mehr dazu auch in unserem Artikel „Krätze an der Schule – vertuscht und gelogen„.

Welche Informationspolitik betreiben die betroffenen Demminer Schulen, Kitas und die zuständigen Behörden? Werden die Eltern über den Krätzeausbruch informiert? Was wird seitens der staatlichen Stellen für die Eindämmung des Parasiten unternommen? Wie gehen Schule und Gesundheitsamt mit der Lokalpresse um?

Krätzealarm an Demminer Schulen

Demmin ist eine kleine Stadt in Mecklenburg-Vorpommern, der Nordkurier die Lokalpresse. Am 05.12.2018 berichtete der Nordkurier:

In einer Schule in Demmin sind mehrere Kinder an der außerordentlich leicht übertragbaren Krätze erkrankt.

Betroffen waren Schülerinnen und Schüler der Demminer Pestalozzischule. Nach uns vorliegenden Informationen soll es 5 Wochen gedauert haben, bis die Krätzefälle von offizieller Seite bestätigt wurden.

Krätze auch an der Reuterschule Demmin?

Anfang der dritten Februarwoche kam eine Schülerin der Demminer Fritz-Reuter-Schule nachhause und berichtete ihrer Mutter davon, es gäbe nun auch einen Krätzefall an der Reuterschule Demmin. Zum damaligen Zeitpunkt lagen keine weiteren Informationen vor.

Am 07. März 2019 wurde die Mutter von einer Bekannten (Name der Redaktion bekannt) über WhatsApp darüber informiert, dass an der Fritz-Reuter Schule Demmin die Krätze umgehen soll. Es solle sich aktuell um 7 Fälle handeln.

Auf Nachfrage, woher die Bekannte dies erfahren habe, teilte diese mit, sie habe mit einer Frau gesprochen, deren Tochter die Krätze habe. Das Kind sei in Behandlung und besuche derzeit die Fritz-Reuter-Schule in Demmin nicht.

Schriftliche Anfrage an die Reuterschule Demmin

Nach WhatsApp-Nachricht und Telefonat wandte sich die Mutter noch am gleichen Tag per E-Mail an die Schulleitung:

Sehr geehrter Herr Direktor,

heute wurde mir zum zweiten Mal mitgeteilt, dass Schüler der Fritz-Reuter-Schule Demmin an Krätze erkrankt sein sollen. Nachdem ich bereits in der vorletzten Woche darüber informiert wurde, wurde mir heute präziser mitgeteilt, es solle sich um derzeit insgesamt 7 erkrankte Schüler handeln.

Bitte teilen Sie mir mit, ob derzeit tatsächlich Krätzebefall bei Schülern der Fritz-Reuter-Schule Demmin bekannt ist.

Im Falle, dass dies Ihrerseits zu bestätigen ist, bitte ich gleichsam auch darum, mit mitzuteilen, warum wir Eltern nicht darüber informiert wurden bzw. wann seitens der Schule eine Information an die Eltern vorgesehen ist.

Darüber hinaus möchte ich konkret wissen, was seitens der Behörden und Schule unternommen wird, um die Ansteckungsgefahr für Schüler und deren Familien einzudämmen.

Mit freundlichem Gruß

Krätze an der Schule: Schuldirektor wimmelt Mutter ab

Eine Beantwortung der Mail blieb aus. Am Folgetag, also am Freitag, den 08. März 2019, rief die Mutter aus einem anderen Anlass in der Schule an. Der Schuldirektor war am Telefon und nutzte die Gelegenheit, der Mutter Folgendes mitzuteilen:

„Da ich sie gerade am Telefon hab. Sie müssen mich nicht mit E-Mails hier bombardieren. Ich werde auch auf diese E-Mails nicht in privaten Kontakt mit Ihnen treten. Das müssen Sie schon uns überlassen, wie wir das hier handhaben.“

Der Schuldirektor ergänzte:

„Außerdem sind die Schüler über das, was Sie dort schreiben, informiert.“

Wünschte „einen schönen Tag noch“ und beendete das Telefonat durch Auflegen des Telefonhörers.

Schule und Gesundheitsamt: Ein Fall – Eltern wurden informiert

Der Nordkurier berichtete am Dienstag, den 12. März 2019, online und in der gedruckten Ausgabe des Nordkuriers mit dem Aufmacher „Erneut Krätze-Fall an einer Demminer Schule„. In der Online-Version des Artikels ist wie folgt zu lesen:

„Harald Eichhorst, der Schulleiter der Fritz-Reuter-Schule, sagt: „Es gibt einen Fall.“ Er erklärt, dass die Eltern informiert seien und das Gesundheitsamt Bescheid weiß. Auch dem Gesundheitsamt des Landkreises ist nur der eine Fall vom 19. Februar an der Fritz-Reuter-Schule bekannt. Der sei auch gar nicht mitteilungsbedürftig gewesen, erklärt Franz-Josef Stein, der beim Gesundheitsamt für den Infektionsschutz zuständig ist. Stein erklärt, dass in diesem Fall nicht die Demminer Schülerin, sondern ein Geschwisterkind an Krätze erkrankt war. Daraufhin wurde die Familie behandelt. „Nach 24 Stunden besteht dann keine Ansteckungsgefahr mehr.““

Die von Schule und Gesundheitsamt auf Presseanfrage kommunizierten Aussagen werfen Fragen auf:

  • Soll die Mutter einer Schülerin der Fritz-Reuter-Schule allen Ernstes den Krätzebefall ihrer Tochter falsch behauptet haben?
  • Handelt es sich wirklich nur um einen Krätzefall an der Fritz-Reuter-Schule Demmin?
  • Wurden tatsächlich Eltern (und Schüler) über den Krätze-Ausbruch informiert?

Demminer Eltern melden sich zu Wort: Wir wurden nicht informiert

Der Nordkurier verlinkt den Online-Artikel „Erneut Krätze-Fall an einer Demminer Schule“ auf der Facebook-Seite von Nordkurier. Der Pin geht viral und wird innerhalb von 4 Stunden knapp 100 mal von Usern geteilt. 24 Stunden nach der Veröffentlichung wurden alleine über die Facebook-Seite des Nordkuriers 154 Teilungen gezählt. Hinzu kommen 80 Teilungen über die Facebook-Seite eines Online-Magazins mit beachtlicher Reichweite.

Unterhalb des Facebook-Eintrags auf der Seite vom Nordkurier melden sich Eltern von Schülern an der Fritz-Reuter-Schule zu Wort. Nachzulesen hier. Kommentare deuten darauf hin, dass Eltern vor der Presseanfrage nicht informiert wurden über den Krätzeausbruch an der Fritz-Reuter-Schule in Demmin.

Vom Schulleiter gelogen

Keine Mitteilung von der Schule

Eltern nicht über Krätze informiert

Mutter erschüttert

Schüler bzw. Eltern wurden erst am Montag, den 11. März 2019 über Krätze an der Schule informiert – nach der Presseanfrage des Nordkuriers an Schule und Gesundheitsamt. Am gleichen Tag informierte eine Klassenlehrerin der 8. Klasse erstmalig über das Auftreten der Krätze. Schüler berichten, die Lehrerin sagte, sie „habe es vergessen“.

Information über Krätze gestern

Andere Eltern kommentieren beim Nordkurier, es handele sich um mehr als nur einen Krätzefall an der Fritz-Reuter-Schule in Demmin. Es seien in 3 verschiedenen Schulklassen betroffene Schüler und Schülerinnen zu vermelden, wie auf dem Schulhof und unter Eltern berichtet wird.

Krätze an der Schule runtergespielt

6 bekannte Krätzefälle

Ist neben dem Krätzeausbruch an der „Pesta“ die Fritz-Reuter-Schule die einzige Demminer Einrichtung mit Krätze?

Zwei Krätzefälle an Zille-Schule

Der Redaktion liegen Informationen vor, dass neben Schulen auch eine Kita betroffen sei. Dort habe man jedoch zeitnah die Eltern informiert und sogar die Einrichtung kurzfristig geschlossen.

Am Mittwoch, den 13. März 2019 findet an der Fritz-Reuter-Schule ein Elternabend statt. Es bleibt abzuwarten, ob und wie sich die Klassenlehrer zu den Vorfällen äußern und welche Fragen die Eltern haben.

Elternversammlung Fritz-Reuter-Schule Demmin

Widersprüchliche Informationen: Desinformation auch an die Presse?

Das Gesundheitsamt teilte dem Nordkurier am Montag, den 11. März 2019 mit, es sei ein Krätzefall vom 19. Februar 2019 bekannt. Am Donnerstag, den 07. März 2019 gab es ein Telefonat einer Mutter mit dem Schulamt. Das Schulamt wußte zu diesem Zeitpunkt nichts von Krätze an der Fritz-Reuter-Schule in Demmin. Inwieweit eine Informationspflicht an das Schulamt besteht, ist der Redaktion derzeit nicht bekannt.

Ein Mitarbeiter des Gesundheitsamts, zuständig für Infektionsschutz, teilte dem Nordkurier auf Nachfrage vom 11. März 2019 mit:

Es braucht engeren Körperkontakt, um sich anzustecken.

Wenn mit Jacken bekleidete Schüler auf dem Schulhof aneinander vorbei liefen, gäbe es kein Ansteckungsrisiko, so fasst der Nordkurier die Aussage des Gesundheitsamtes zusammen. Der Pressebericht endet mit einem Zitat des Zuständigen beim Gesundheitsamt:

„Die Zahl der Krätze-Fälle explodiert nicht.“ Es gab sie schon immer, sie würden inzwischen nur häufiger gemeldet.

Interessant ist ein zweiter Artikel im Nordkurier, der sich ebenfalls mit Krätze an Schulen und anderen Einrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern beschäftigt. Erschienen ist dieser Artikel am 01.02.2019. Darin heißt es:

Krätze-Fälle häufen sich in Mecklenburg-Vorpommern – ein Thema, das jeden juckt, denn die Anzahl der gemeldeten Fälle ist deutlich gestiegen. Wie schützt man sich vor Ansteckung?

Der Nordkurier informiert die Leser über Fallzahlen und bezieht sich dabei auf Angaben vom Landesamt für Gesundheit und Soziales:

In Mecklenburg-Vorpommern hat die Zahl der gemeldeten Krätze-Fälle 2018 im Vergleich zum Vorjahr sprunghaft zugenommen: von 182 auf 411, berichtet das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lagus).

Während das Gesundheitsamt im März 2019 dem Nordkurier mitteilt, es brauche schon engeren Körperkontakt, um den Parasit Krätzmilbe zu übertragen, wird bezieht sich der Nordkurier im Artikel vom 01.02.2019 auf eine andere Expertenmeinung:

Die Krankheit sei außerordentlich leicht übertragbar, so Diplombiologe Kai Gloyna, (…)

Der Diplombiologe arbeitet bei Lagus, dem Landesamt für Gesundheit und Soziales, Rostock, Mecklenburg-Vorpommern.

Tag24.de berichtet ebenfalls über Skabies und bezieht sich auf Fallzahlen, die von Lagus genannt wurden:

17.01.2019: Rostock – Lagus meldet im Jahr 2017 insgesamt 182 Krätzefälle, im Jahr 2018 seien 411 Fälle gemeldet worden.

https://www.tag24.de/nachrichten/kraetze-skabies-breitet-sich-aus-mecklenburg-vorpommern-gesundheit-938574#article

Einen Tag nach dem Artikel im Nordkurier: Nächste Krätzefälle bestätigt

Nachdem am 12. März 2019 der Nordkurier über Krätze an der Demminer Fritz-Reuter-Schule berichtet hatte, erschien einen Tag später am 13. März 2019 die nächste Krätze-Meldung in der Region. Nordkurier berichtet von mehreren Krätzefällen in

  • Rechlin (angeblich ein Fall)
  • Malchow (angeblich 2-3 Fälle)
  • Waren (angeblich Krätze an 2 Schulen)
  • Demmin
  • Neubrandenburg

Der Nordkurier fasst die Aussagen des Gesundheitsamts wie folgt zusammen:

An Schulen, in denen die Kinder in den Pausen im Freien toben, sei eine Ansteckung nicht sehr wahrscheinlich. Doch in Einrichtungen, in denen sich viele Kleinkindern aufhalten, sei die Wahrscheinlichkeit höher, dass die Krätze übertragen werde, so Stein.

Hauptsächlich beziehen sich jedoch die Pressemeldungen auf Krätze an Schulen, vornehmlich an weiterführende Schulen. Das Gesundheitsamt teilt mit, dass eine Übertragung der Krätzmilbe im Freien „nicht sehr wahrscheinlich“ sei. Aber wie steht es um die Übertragung im Klassenraum? Wenn zwei Schüler sich eine Schulbank teilen? Diese Frage bleibt unbeantwortet.

Krätze nicht nur an Demminer Schulen auf dem Vormarsch

Bundesweit häufen sich Meldungen mit Kränzeausbruch an Schulen und Kitas. Krankenkassen melden den sprunghaften Anstieg. Auszug Pressespiegel:

So ist die Verordnungszahl wichtiger Krätze-Medikamente zwischen den Jahren 2016 auf 2017 um 60 Prozent gestiegen, von 38.127 auf 61.255 Verordnungen bei den BARMER-Versicherten. „Die Ärzte verschreiben wieder deutlich mehr Krätze-Medikamente, und zwar in allen Regionen Deutschlands. Ähnlich stark dürfte auch die Anzahl der Erkrankten gestiegen sein“, sagt Dr. Utta Petzold, Dermatologin bei der BARMER.

https://www.barmer.de/presse/presseinformationen/pressearchiv/kraetze-vormarsch-147122

15.11.2018: Laut Krankenkasse AOK haben sich in Hessen innerhalb von 5 Jahren verdreifacht

https://www.tag24.de/nachrichten/kraetze-hessen-landkreis-kreis-fulda-hautkrankheit-krankheit-867592#article

2018: Ärzteblatt – Die Ausbreitung der Krätze in Deutschland wird unterschätzt. Zudem versagen immer häufiger die gängigen Therapien. Ein Bericht aus dem Alltag einer dermatologischen Praxis.

https://www.aerzteblatt.de/archiv/197436/Skabies-Erfahrungen-aus-der-Praxis

13.11.2018: Krätze breitet sich in Schmalkalden aus: Etliche Einrichtungen betroffen. Gesundheitsamt: derzeit sind etwa 120 Patienten in Behandlung

https://www.thueringen24.de/thueringen/article215788963/Kraetze-Schmalkalden-Thueringen-Kita-Schule.html

13.03.2019: Krätze breitet sich in Deutschland aus – Krankenkasse Barmer meldet steigende Fallzahlen. Von 2016 bis 2017 um 60 % gestiegen.

https://www.bild.de/ratgeber/gesundheit/kraetze/ist-die-kraetze-wieder-auf-dem-vormarsch-55093632.bild.html

20.01.2019: In Hessen im Jahr 2016 85 Fälle, im Jahr 2017 insgesamt 204 bekannte Fälle

https://www.bild.de/regional/frankfurt/frankfurt-aktuell/424-ansteckungen-in-hessen-immer-mehr-kraetze-faelle-59655186.bild.html

10.12.2018 “Es waren zwei Fälle in einer zweiten Klasse“

https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgart-moehringen-kraetzefaelle-an-schule-verunsichern-eltern.1141848b-83a2-4955-bf11-c12a67993719.html

27.12.2018: Sachsen – Gesundheitsamt registriert so viele Fälle wie lange nicht

https://www.tag24.de/nachrichten/sachsen-kraetze-faelle-krankheit-skabies-milben-jucken-krank-913897#article