Das Bundesverfassungsgericht bestärkt im April 2015 mit seinem Urteil Aktenzeichen 1 BvR 3326/14 den Kindeswille. Nach Auffassung des BVR ist der Wille des Kindes in familiengerichtlichen Verfahren immer zu beachten. Mit der neuerlichen Prüfung überdenkt das Bundesverfassungsgericht nochmals seine Entscheidung aus 2014 (Az: 1 BvR 2102/14), in der das Gericht den Kindeswille zugunsten von Kontinuität bei der Frage nach dem Lebensmittelpunkt eines Kindes nach der Scheidung zurückstellte.
Wie wichtig ist der Kindeswille?
Zunächst mag man der Ansicht folgen, dass der Wille des Kindes in Sorgerechtsangelgenheiten vorrangig zu berücksichtigen ist. Warum sollte ein Kind nicht alleine entscheiden dürfen, ob es bei Mama oder Papa lebt? Ebenfalls stellt sich die Frage, ob bei einer Inobhutnahme der Kindeswille zu beachten sein sollte.
Eine einfache Antwort auf diese Fragen könnte lauten:
Weil Kinder noch nicht volljährig sind und der Gesetzgeber die Entscheidungsbefugnis von Minderjährigen massiv einschränkt.
In der Tat wäre das eine gute Antwort. Insbesondere dann, wenn man sich dessen bewusst macht, dass Kinder noch nicht viel Lebenserfahrung haben und somit Konsequenzen von Entscheidungen nicht adäquat in die Entscheidungsfindung einbeziehen können. Deshalb ermächtigt der Gesetzgeber Vater und Mutter, über die Belange des Kindes zu befinden.
Warum der Kindeswille nicht das Maß aller Dinge sein kann und darf
- Ein Kind im Alter von drei Jahren weiß, das Süßigkeiten lecker schmecken. Geht es nach dem Willen des Kindes, darf es unbegrenzt Süßes essen und auf gesunde Kost verzichten.
- Ein 5-jähriger Junge träumt davon, Auto zu fahren. Er will aber nicht warten, bis er den Führerschein machen kann, sondern schnappt sich den Schlüssel von Papas Auto, um eine Spritztour zu machen.
- Ein Zwölfjähriger will in Elektriker werden und entschließt sich, eigenmächtig an den Stromleitungen des Hauses herumzubasteln.
- Ein 14-jähriges Mädchen wünscht sich ein teures Parfüm, aber das Taschengeld reicht nicht. Es geht in die Parfümerie und nimmt sich das Parfüm ohne zu bezahlen.
- Ein 16-Jähriger will nicht mehr in die Schule gehen und schwänzt den Unterricht.
Diese fiktiven Beispiele machen deutlich, dass es nicht immer nach dem Kindeswille gehen kann. Trotzdem muss bedacht werden, dass der Wille des Kindes im familiengerichtlichen Verfahren nicht ohne Weiteres ignoriert werden darf.
Warum man den Kindeswillen beachten muss
Jeder Mensch hat per Gesetz zumindest theoretisch das Recht auf einen freien Willen. Der Wille ist elementar für die eigene Lebensgestaltung. Nicht immer lässt sich der Wille in der Realität umsetzen. Wer beispielsweise viel Geld will, hat es schwer, so viel Geld zu bekommen, wie er will. Trotzdem kann jeder Mensch Geld verdienen und durch sein Handeln zumindest teilweise beeinflussen, wie viel Geld er erwirtschaftet.
Geld ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig der eigene Wille für Menschen ist. Denn viele Wünsche und Bedürfnisse lassen sich durch finanzielle Mittel erfüllen. Erfüllte Wünsche und die Befriedigung von Bedürfnissen wirken sich positiv auf die Wahrnehmung der eigenen Lebensqualität aus. Wer Ziele erreicht und sich ein schönes Leben macht, ist glücklicher und zufriedener, als Menschen, denen dies nicht gelingt. Ungeachtet des Willens des Gesetzgebers muss also der Kindeswille Beachtung finden, wenn es tatsächlich um das Wohl des Kindes gehen soll.
Gretchenfrage: Wie viel Kindeswille entspricht dem Kindeswohl?
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